Inhaltsverzeichnis
ToggleEin schwieriger Start ins Jahr
Der Jahresanfang fühlte sich ungefähr genauso düster an wie das Bild, das ich Mitte Januar gemalt habe. Die hellen Flecken stehen dabei für die wunderbare Umgebung, in der das Bild entstanden ist. Ich habe Januar und Februar in Berchtesgaden am Königssee verbracht. Mit dem dick verschneiten Watzmann am Anfang und den ersten Buschwindröschen am Ende. Ich hatte ein bequemes Zimmer, Vollverpflegung und einen für mich extra durchgeplanten Tag. Ich musste mich um nichts kümmern. In die Klinik mitgebracht hatte ich außerdem: Nebel im Kopf, Dauerschmerzen überall im Körper, Bandscheibenschwierigkeiten und ein Hirn, dass einen ziemlichen Graufilter trug. Dazu die vier Jahre alte Diagnose „Fibromyalgie“[1] und den Auftrag „Lernen Sie mit diesem Zustand zu leben! Tun Sie sich Gutes. Mehr können Sie nicht machen.“
Nach sieben Wochen Therapie aus allen Richtungen -Physio, Kunst, Psycho, Bewegung, Gruppe, Medikamente- waren zumindest die Bandscheibenschmerzen im Griff und der Nebel im Kopf hatte sich einigermaßen gelichtet. Geschlafen habe ich von Anfang an mindestens zehn Stunden pro Nacht. Licht aus um 20 Uhr war oft. Da hatte ich wohl etwas nachzuholen…
Außerdem hatte ich natürlich meine selbstverordnete „Journaling-Schreib-Therapie“ am Start. Seit Ewigkeiten habe ich nicht mehr so viel geschrieben wie in diesen Wochen. Schön oder erbaulich war das nicht immer, was vor allem an der „Finden Sie sich damit ab“-Aufgabe lag. Trauer, Wut und Neid in allen Schattierungen werden nicht hübscher, wenn sie auf dem Papier klar sichtbar vor einem stehen.
[1] Fibromyalgie oder Fibromyalgiesyndrom ist ein Syndrom ausgebreiteter Schmerzen
in verschiedenen Körperregionen, Schlafstörungen und vermehrter Erschöpfung.
Zu diesen Kernsymptomen kommen eine Reihe von Begleitsymptomen
wie Morgensteifigkeit und Konzentrationsstörungen. [Wikipedia]
Über meine "Kellergeister" schreiben
Aber meine „Kellergeister“ mussten endlich mal raus und an die Luft. Ich hatte einfach keine Energie mehr übrig, um sie weiter wegsperren zu können. Es hat eine Weile gedauert, in der ich ziemlich von ihnen durchgeschüttelt wurde, bis ein einigermaßen vernünftiges Gespräch möglich war. Sie haben dann auch nicht mehr dauernd versucht, mich zu sich in den Keller zu ziehen. Bis dahin hatte ich aber schon eine ganze Weile da unten verbracht und die Gänge und Stollen beschrieben, die sich da in meinem Keller befanden. Langsam kannte ich mich dort unten aus und die Geister erschreckten mich auch nicht mehr so sehr.
Das Schreiben über diese Kellergeister hat mir geholfen, sie als das zu erkennen, was sie sind. Nämlich Wegweiser und Ratgeber – jedenfalls wenn man sie ans Licht holt und etwas auslüftet. Man muss eben den üblen Gestank und Lärm am Anfang aushalten, wenn sie frisch nach oben kommen und einen fürchterlich anbrüllen und Angst verbreiten.
Und mir ist auch klar geworden, warum diese „Kellerbegehungen“ im normalen Leben kaum stattfinden können: Es ist schweineanstrengend und unglaublich intensiv. (Hatte ich schon erwähnt, dass ich mindestens zehn Stunden geschlafen habe?)
Wie geht es weiter?
Ich bin unglaublich dankbar, dass ich mir diese Zeit auch als Selbstständige habe leisten können. Das ist ein privilegierter Zustand, der durch glückliche Umstände, eigene Vorsorge und Absicherung des Familieneinkommens durch meinen Mann möglich ist.
Ich kann es mir erlauben, mir die Zeit fürs Gesundwerden auch zu nehmen. Das können nicht alle!
(Das ein Hirnteil trotzdem rattert und das Ganze sehr, sehr unnötig findet, steht auf einem anderen Blatt!)
Noch im März/ April hatte ich mich mit dem Aufgeben meiner Selbständigkeit beschäftigt. Wie sollte das auch gehen? Erfolgreich selbständig sein wollen und NICHT selbst und ständig arbeiten? – Lieber eine kleine Stelle in einer Apotheke suchen und wieder in den alten Beruf einsteigen: Am Besten im Büro, denn langes Stehen im Laden stand nicht zu Debatte.
Hatte ich überhaupt "Fibro"?
Doch langsam ging es mir besser und es erhärtete sich für mich ein Verdacht, den ich schon länger hatte: Meine „Fibromyalgie“ waren zum größten Teil meine Wechseljahre! – Denn parallel zu allem anderen nahm ich seit Februar regelmäßig meine Ersatzhormone. Mitte Mai setzte ich meine Schmerzmittel komplett ab um festzustellen, dass ich sie nicht mehr brauchte. Ich hatte keine „Im ganzen Körper“-Schmerzen mehr. Meine bleierne Müdigkeit, ohne mich vorher angestrengt zu haben, ist wie weggeblasen. Ich kann mich wieder problemlos länger konzentrieren. (Deshalb habe ich auch gelesen wie verrückt in diesem Jahr! Es war einfach toll, dass es wieder ging!)
Jetzt muss ich mich mit den Folgen von acht Jahren Bewegungsmangel wegen chronischer Schmerzen und Erschöpfung beschäftigen. Nicht dass ich vorher eine Sportkanone gewesen wäre, aber jetzt kommt ein Hirn dazu, dass Bewegung überhaupt nicht mehr mag, weil es die nur mit Schmerzen verbindet! Großartig!
Das ist nicht schön und nervt mich vor allem dann kolossal, wenn ich darüber nachdenke, dass ein großer Teil dieser Schmerzgeschichte unnötig gewesen ist. Aber meine Wut über die Ignoranz einiger meiner Ärzt:innen würde diesen sowieso schon länglichen Jahresrückblick sprengen. Und ich weiß, dass ich mit dieser Geschichte nicht alleine bin. https://www.instagram.com/p/CyeQ_ats47F/
Vor diesem Hintergrund hat sich all das Schöne, Leichte und wunderbar Überraschende diesen Jahres entfaltet.
Hat das Ganze etwas Gutes?
Es gibt immerhin einen Gewinn, den ich aus dieser elenden Zeit mitnehme: Der Mangel an Energie und Zeit, in der ich konzentriert arbeiten konnte, hat mich superschnell werden lassen. Ich zaudere und grübele weniger, entscheide schneller und bin mit Dingen zufrieden, ohne sie noch dreiundzwanzigmal zu überarbeiten. – Und am Liebsten hätte ich das natürlich auf andere Weise begriffen und ins Tun umgesetzt.
Trotzdem ist das aber etwas, das mir ermöglicht hat, trotz aller Einschränkungen all das auf die Beine zu stellen, von dem ich in den nächsten Absätzen berichte. (Vielleicht muss man ja auch gar nicht ständig arbeiten? Vielleicht gibt es die schockierende Möglichkeit erfolgreiche Teilzeit-Selbstständige zu sein! Stellt euch das mal vor! Zeit für Erholung! Zeit für andere Dinge! – Neenee, das wird schon schnell schief gehen…Sie wird schon sehen, was sie davon hat! So läuft das doch nicht! Jetzt geht dieser Idealismus-Quatsch schon wieder los! … Ruhe da unten! Kellergeister haben hier erstmal nix zu melden! Ihr kommt erst wieder hoch, wenn ihr euch ohne Miesmacherei und Katastrophen ausmalen äußern könnt!)
Also, wo war ich? – Ach ja, die feinen Dinge!
Die feinen Dinge 2024
Penny & Rosie
Achtung! – Triggerwarnung: Cat-Content!
Wir haben wieder Katzen! 10 Monate nachdem wir uns nach 19 Jahren von Clyde verabschieden mussten, wohnen wieder zwei Wirbelwinde bei uns! Ist das schön! Wir haben die zwei Miezen aus einem „cat hoarding“-Fall (was für Gruseligkeiten es gibt!!!) aus dem Tierheim geholt. Inzwischen sind sie zu zwei schmusigen und lustigen Mitbewohnerinnen geworden. Penny ist eben hochgesprungen und hat mit ihr Lieblingsspielzeug gebracht. Ich soll das alte Haargummi wegwerfen, damit sie es mir wiederbringen kann. Eine Katze, die apportiert?! – Jep, wohnt bei uns.
"Homo Faber" in Venedig
Das war der faszinierendste und am meisten inspirierende Tag des Jahres. „Homo Faber“ ist eine alle zwei Jahre stattfindende Ausstellung von Kunsthandwerker:innen aus der ganzen Welt. Sie findet in einem ehemaligen Kloster auf der Insel San Giorgio Maggiore direkt gegenüber vom Markusplatz statt.
Soweit die dürren Fakten. In Wirklichkeit ist ein Fest zum Staunen darüber, was Menschen alles Wunderbares, Bezauberndes, Schönes und Nützliches herstellen können.
Es gab Obstteller täuschend echt aus Papier geformt. Oder ein Teller mit „Full English Breakfast“ – gestickt aus Garn! Stühle, wie aus Luftballons geformt. Ich habe staunend vor glitzernden Diamantarmbändern in Form eines Geparden gestanden und direkt nebenan ein Korallenriff aus recyceltem Pappkarton bewundert. Oder opulente Blumengestecke aus weißem Architektenpapier.
Eine Schweizer Uhrmacherin hat mir erzählt, dass sie noch zu wenig Erfahrung hat, um die komplizierten Werke mit 800 Teilen zu montieren, deren Montage ein ganzes Jahr dauert. Sie ist ja erst seit zehn Jahren dabei und baut erst die Werke mit ungefähr einhundert Teilen zusammen.
ERST seit zehn Jahren! – was für ein wunderbarer Zeithorizont für Lernen und um Meisterschaft anzustreben. Ich glaube, ich habe sie erstmal ziemlich fassungslos angeschaut. Und dann ging mir auf, wie großartig es ist, so viel Zeit für die eigene Entwicklung zu bekommen.
STICKEN! – Sticken werde ich zukünftig als Kunstform viel ernster nehmen! Nicht nur wegen des Breakfast-Tellers. Wie viel Geduld und Leidenschaft braucht es, um tausende Stiche auf eine Stück Stoff zu setzen? Die Vielfalt der Traditionen aus so vielen Ländern hat mich völlig in den Bann gezogen. Ich hätte stundenlang vor den Stickbildern stehen und sie mir anschauen können.
Ich kam mir an diesem Tag vor wie ein Kind in einem Süßigkeitenladen, in dem ich alles probieren durfte ohne Bauchweh zu bekommen. Es waren eben auch die Menschen da, die diese herrlichen Dinge erschaffen haben. Ich konnte Fragen stellen und staunen.
Allein die Vielfalt der Materialien: Wölfe aus Hasendraht, Messer aus Damaststahl, Pappkartons, Pappmaché, Gold, Edelsteine, Federn, Porzellan, Ton, Holz, Steine, Eierschalen, Musselin, Perlen… ich habe tausend Bilder im Kopf! 2026 bin ich wieder da, diesmal dann für zwei Tage!
Davon will ich auch schon in 2025 mehr haben. Werkstätten besuchen, staunen und mich inspirieren lassen. Das ein oder andere Stück erstehen und mich zuhause daran erfreuen. Denn nur von meiner Begeisterung kann ja auch niemand leben…
Es gibt mir ein bisschen Glauben an die Menschheit zurück.
Schönheit – menschengemacht! Wir können doch auch das!
Soweit erst einmal Teil 1 des Jahresrückblogs. Komm gerne in ein paar Tagen wieder vorbei: Dann gibt es den zweiten Teil mit meinen Lieblingsbüchern aus 2024 und dem, was in meiner Schreibwelt so los war:
Freue mich schon sehr auf Teil 2!