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Schreiben ist wie unter Wasser atmen können

In diesem Blogartikel erzähle ich davon, warum ich eigentlich schreibe.

Ich schreibe, weil es mir erlaubt, meine Gedanken und Gefühle auf Papier zu bringen und sie zu sortieren, zu verstehen und manchmal auch zu entlarven. Schreiben gibt mir die Möglichkeit, mich bei meinen Gedankenschleifen zu ertappen und mich selbst besser kennenzulernen. Außerdem genieße ich das Schreiben an sich, weil es mir gut tut und ich mich wie ein Zombie fühle, wenn ich es nicht tue. Ich schreibe auch, weil es mir erlaubt, etwas Neues aus Fragmenten, Ideen, Erlebnisse und Personen zu schaffen, das vorher noch nicht da war.

Ich erinnere mich an mein erstes Tagebuch. Es war in dunkelbraunes Leder gebunden, in das ein Wappen geprägt war. Außerdem hatte es  einen Goldschnitt und wurde mit einem goldenen Schnapper geschlossen, den ich sogar abschließen konnte. Meine Tante hatte es mir zum zwölften Geburtstag geschenkt, damit ich immer jemanden hätte, der mir zuhört.

Es dauerte eine Weile bis ich mich getraut habe, hineinzuschreiben. Das Buch sah zu kostbar aus und ich dachte, es wäre nur für die wirklich wichtigen Ereignisse. Doch irgendwann habe ich doch damit angefangen, meine alltäglichen Sorgen, Nöte und was mir so passierte, aufzuschreiben.
Damit fing meine Notizbuchliebe an. Seitdem habe ich einen großen Stapel Tagebücher, Notizbücher und Collegeblöcke vollgeschrieben. Es sind Chinakladden dabei: Schwarz eingebunden mit roten Ecken und schlechtem Papier. Bunt eingebundene Notizbücher, manche ganz zerschrabbelt, weil sie mich auf Reisen begleitet haben. Andere sehen wie neu aus und es sind nur wenige Seiten beschrieben. 

Ich schreibe mich durch die Krise

In den Jahren seit 2020 habe ich so viel geschrieben, wie noch nie zuvor in meinem Leben: Auf meinem anderen Blog die „60-Fragen-Challenge“ und Artikel über meine „Wilde Reise“ mit einer chronischen Erkrankung. Außerdem Freewritings für meine Schreibgruppe und Texte für den Schreiblehrgang beim writers‘ studio. Ich habe stapelweise Journals gefüllt, um mit meinem Krankheitsscheiß besser klar zu kommen und das Gefühlschaos wegen Dauerschmerzen wenigstens ein wenig runter zu regulieren. Ich habe mit den verschiedensten Techniken experimentiert: Freewriting, serielles Schreiben, Schreibimpulse, 10-Minuten-schreiben, „Elfchen“ und Haikus ausprobiert.

Die beiden wichtigsten Erkenntnisse dabei:

Zum einen hat „Schreiben können“ nicht so viel mit „Genie“ und Talent zu tun, wie ich dachte. Sondern damit, möglichst viel zu schreiben und dafür motivierendes „friendly feedback“ zu bekommen. Damit kann ich die innere Kritikerin auf Stand-by schalten, während ich den ersten Rohtext schreibe. 

Und zweitens hat mir Schreiben durch diese schwierige Zeit geholfen: Wenn es mir richtig schlecht ging und ich mich „komplett unter Wasser“ gefühlt habe und nicht wusste, wie es weitergehen sollte, habe ich mich doch immer wieder zum Schreiben hingesetzt. Und alles rausgeschrieben, was mir auf dem Herzen und der Seele lag. Danach war ich zwar immer noch unter Wasser, aber ich hatte das Gefühl, trotzdem wieder Luft zu bekommen. Möglichkeiten auf dem Papier gab es immer. Schreiben war also wie unter Wasser atmen können.

Schreiben zum Selbstcoaching

Inzwischen habe ich noch Vieles dazu gelernt. Im writers‘ studio in Wien aber auch bei anderen Workshops, zum  Beispiel zu „Schreiben als Werkzeug im Training“. Und nicht zuletzt in meiner Ausbildung zum „Journaling-Coach“ bei Birgit Schreiber im vergangen Jahr. Ich habe mich durch zahlreiche Bücher zum Thema Journaling durchgefräst, eine Vielfalt von Methoden ausprobiert und für mich angepasst.

Und die Schreibforschung (was es alles gibt!) bestätigt, was meine Erfahrung in den vergangenen Jahren war: Schreiben hilft Krisen besser zu überstehen und eröffnet neue Handlungsmöglichkeiten. Was ich aufschreiben kann, habe ich schon mal im Geist ausprobiert. Dann ist der Weg zum Tun wieder ein bisschen kürzer.

Soweit die Fakten dazu, warum ich schreibe. Es gibt daneben aber auch noch die ganz persönliche Seite meiner Schreibleidenschaft. Darum geht es im Rest des Textes.

Ich schreibe für mich

Ich schreibe, weil ich gar nicht mehr anders kann.
Ich schreibe, weil ich schreiben will und mich niemand davon abhalten kann – außer ich selbst.
Ich schreibe, weil ich das aufs Papier bringen will, was für mich wahr und richtig oder irrtümlich und falsch ist. Ohne dass irgendjemand reinquatscht. Und es mir kleinmacht, wegnimmt oder zerstört.
(Da ist immer noch mal die Sache mit meiner inneren Frl. Rottenmeier! Aber die kann ich immer besser austricksen! Ha!) 

Das Geschriebene ist nur für meine Augen bestimmt. Dann kann dort auch all das stehen, für das ich mich schäme, das übertrieben, aufgeblasen und melodramatisch daher kommt.
Es ist durch das Aufschreiben wirklich geworden. Es ist da. Es steht geschrieben. Und bleibt.
Bleibt Anklage, Vorwurf, Meinung, Freudentanz oder Wutausbruch.

Statisch? Ja! Aber das ist genau der Witz! Endlich einmal etwas, das sich nicht verändert, verformt und zerfließt.
Endlich etwas, das bleibt in einer Welt, die sich rasend schnell verändert. Etwas, an dem ich mich im Zweifelsfall festhalten kann. 

Entschleunigung

Die Gedanken werden langsamer beim Schreiben. Sie stellen sich an. Weil sie alle gehört und aufgeschrieben werden, alle erst einmal aufs Papier wollen. Entschleunigung stellt sich ein. Die Höchstgeschwindigkeit auf der Gedankenautobahn wird eher eingehalten. Es gibt weniger Unfälle. Keine Massenkarambolage von Gedanken, die rücksichtslos ohne Mitgefühl herumrasen und denen egal ist, ob ich dabei zu Schaden komme.

Wenn sie aufgeschrieben sind, kann ich meine Gedanken anschauen. In aller Ruhe hin und her wenden. Einen anderen neuen Gedanken haben. Vergleichen – welchen behalte ich? Den Schöneren? Den Logischeren? Welcher ist schön und wahr? Welchen behalte ich, auch wenn er nur wahr ist?

Die schönen Gedanken sind nicht immer die, die mir weiterhelfen. Entlarven, mir selbst auf die Spur kommen. Dafür schreibe ich auch. Um mich bei den immer gleichen Gedankenschleifen zu ertappen. Das geht leichter auf Papier in der etwas verlangsamten Variante des Nachdenkens.
„Lies mal nach! Das hast du doch schon so oft geschrieben. Aber stimmt es auch?“

Gewohnheit lässt uns vieles glauben. Schreiben kann dem gewohnheitsmäßigen Denken entgegenwirken. 

Und manchmal ist sogar noch im größten Quatschsatz ein Kern von Wahrheit, Wissen, Verstehen.

„Das hier ist jetzt dein absurdester Gedanke! Was willst du jetzt damit machen?“

Auf der anderen Seite auch das: Immer wieder dasselbe schreiben, damit ich es mir endlich selber glauben kann. Die Freude, den Erfolg, die Wut, den Schmerz.

Wenn ich dann noch die wirklich spannenden Fragen beantworte, kann ich mir selber auf die Schliche kommen: Worüber schreibe ich nie? Was verstecke ich sogar vor mir selber? Was darf nicht auf die Seiten? – Warum nicht? Warum schreibe ich – nur nicht darüber?

Schreiben für den Genuss

Ich schreibe aber vor allem, weil ich mich mit dem Stift in der Hand am Tisch sitzend so wohl fühle wie sonst nirgendwo. Es läuft leicht beim freien Schreiben. Immer auf Anhieb. Die Gedanken sind ja immer da. Wenn ich eine Szene im Kopf vor mir sehe, auch. Dann muss ich nur beschreiben, was ich sehe. Ich schreibe, weil es leicht geht. Ich schreibe, weil es außer Papier und Stift nichts braucht, um eine ganze Welt zu erschaffen.

Ich schreibe, weil ich schreibe. Weil ich zum Zombie werde, wenn ich es nicht tue. Weil ich gar nicht anders kann! Süchtig? Vielleicht! Aber es ist eine gesellschaftlich sehr anerkannte und akzeptierte Sucht. Schreibbesessene gelten etwas! Menschen, die sich etwas ausdenken, was vorher nicht da war! Wow!

Natürlich ist es nicht so. Es war alles schon vorher da. Ich kann nicht Etwas aus Nichts schaffen. Ich setze nur Fragmente, Ideen, Erlebnisse, Personen anders zusammen. Wie bei diesen drei-teiligen Klappbüchern, wo am Ende eine Piraten-Cowboy-Stöckelschuh-Figur herauskommt. Alles schon mal dagewesen und alles neu gleichzeitig.
Und ich habe vergessen, den Timer für sie Schreibzeit zu stellen. Liest du immer noch? (Wow! Danke!)

Ich kann ewig damit weiter machen. Schreiben ist eben wie Ein- und Ausatmen für mich.

Und für andere schreiben?

Vielleicht liest es aber doch jemand!? Findet sich ein wenig wieder in den Zeilen.
„Danke fürs Worte finden, wo ich keine habe.“ Darauf hoffe ich. Wünsche es mir. Wenn es anders wäre, wärst du jetzt nicht hier.

🧡 💛 ❤Danke fürs Lesen! ❤ 💛 🧡

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